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Diabetes-Kids Elternblog: Nachtgedanken

Gott ist ein Scheißkerl!

Man muss sich manchmal einfach fragen, warum viele Dinge sind, wie sie sind. Auch nachts um 3. Was haben wir getan, dass wir eine solche Strafe, eine solche Bürde, eine solche Last verdient haben?
und hört mir auf damit „Dein Kind lebt wenigstens“. Ja, das tut es. Es liegt nicht im Schutt von Aleppo, tot und kalt. Es liegt stattdessen neben uns, in einem warmen sicheren Zuhause, gut behütet, bewacht und beschützt von Mama und Papa. Ruhig und friedlich schlafend. Und dennoch:

Der Sensor schlägt Alarm. Tiefalarm. Wieder einmal ist die Nacht unterbrochen, wie schon so viele Nächte zuvor. Nicht so viele, dass man konkret wüsste, wo man eine Schraube drehen könnte, damit es besser würde. Aber gerade so viele, dass man hin und wieder keine ruhige Nacht hat. Obwohl man gerade diese dringend bräuchte!

 

Es ist wieder einmal so weit. Tiefalarm. Was um 60 herum. Das Überwachungssystem schlägt Alarm, nachdem es bereits selbstausführend die letzten knapp 2 Stunden die Basalrate abgeschaltet hat. Und obwohl der kleine Mann während der letzten Stunden schon von sich aus im Halbschlaf immer wieder bei Mama angedockt hat, kam er nicht richtig hoch.

Müde und benommen quittiert man im Halbschlaf den Alarm,  überlegt was zu tun ist. Es gibt ein paar Schluck Caprisonne, die das Kind so wiederwillig trinkt, wie es eben ein anderthalbjähriger nachts um 2 aufnimmt.  Es wird geweint, es wird sich gewehrt. Irgendwann setzt man sich dann halt durch, hält das Kind fest. Gegen seinen Willen. Er trinkt! Endlich! Gott sei Dank.

Man legt sich wieder hin, der Bub schläft zum Glück recht schnell wieder ein.

Doch nur kurz, denn nur etwa 20 Minuten später piept die Pumpe erneut. Die 2 Stunden sind um! Die Basalrate wird nun fortgesetzt, egal ob es das Leben des Kindes durch einer Überdosis Insulin nun beenden würde. Die Programmierung ist halt so! Nach 2 Stunden geht es weiter, koste es, was es wolle! Natürlich bestätigt man den Alarm, natürlich schaltet man sofort die temporäre Basalrate manuell ein, was vorher, dank der Abschaltung, nicht ging! Man kommt ja in kein Menü Basal, wenn der SmartGuard die Basalrate abgeschaltet hat. Man müsste den Smartguard erst abschalten, die Basalrate manuell fortsetzen, um sie dann wieder unterbrechen zu können. Schizophren! Ein Werkzeug, was uns helfen soll, schadet erstmal. Rudimentär gesprochen und vielleicht nicht ganz fair. Nachts um halb 3 denkst du aber so. Punkt.

Du nimmst also Basal temporär für weitere 2 Stunden auf 0 Prozent. Was sonst, der Wert dümpelt so vor sich hin. Liegt knapp über 60. Du betest, hoffst, dass die Capri Sonne noch kommt. Und bist dankbar dafür, dass der Kleine wenigstens vom Alarm nicht wach geworden ist.

Es ist kurz vor 3. Du bist gerade wieder eingeduselt, die Überwachung schlägt Alarm! 60 auf dem Display mit 3 Pfeilen runter!! Höchste Wachsamkeit ist gefordert, du warst ja gerade erst eingelullert. Ungläubig schaust du auf das Display, das kann doch nicht sein! Wo ist die Capri Sonne? Und wo bitte kommen die 0,2 aktives Insulin her, die auf dem Display stehen?! Die Basalrate hat doch nur 0,1 um diese Uhrzeit, war doch zuvor die maximale Dauer von 2 Std. abgeschaltet und hat nur wenige Minuten Basal abgegeben, bevor wir diese Abgabe wieder manuell unterbrochen und auf 0% gesetzt hatten?!

Wir messen blutig gegen. Zur Sicherheit Erstaunlich genau decken sich Sensor und Blutmessung. Der kurzen Freude, dass das Kind von der Stecherei ebenfalls nicht wach geworden ist, folgt bittere Erkenntnis, dass wir es nun wach machen müssen.

Der Protest ist unglaublich. Selten so brutal und laut. Er brüllt seine ganze Wut uns entgegen. Er war gerade so lieb und friedlich eingeschlummert. Wir halten im „Gaga“ hin, was für einen Anderthalbjährigen das Schlagwort für „Trinken“ ist. Er lehnt ab. Schüttelt den Kopf, wehrt sich. Die Caprisonne landet auf Schlafanzug und Body. „Nass“ kommentiert er wimmernd.

Wir halten ihn fest, reden gut zu, werden langsam selbst gereizt aufgrund Schlafmangel und Uhrzeit. Immer wieder will der Bub einschlafen, sich in den Schlaf weinen. Aber das geht jetzt nicht! Er muss trinken, die Alternative wäre eine Spritze. Sind wir schon so weit? Wie war das nochmal? Aufziehen, schütteln, rein? Oder wie?

Endlich, er trinkt!! Unter Protest! Die Caprisonne wird leerer und leerer, endlich darf er sich wieder hinlegen. Schlummert ein. Gott sei Dank!

Inzwischen ist es halb 4. Natürlich hat die Pumpe inzwischen die Steuerung wieder übernommen und die Basal abgeschaltet, die von uns sowieso bereits manuell Basal T auf 0% abgeschaltet war. Wichtig den Alarm zu quittieren. Klar.

Mit Schlaf ist dann nicht mehr. Die Wut im Bauch ist da! Wut darüber, dass ich das kleine Kind innerhalb von 2 Stunden gleich 2x wecken muss. So sehr, dass er halt richtig „wach“ werden muss, um aktiv zu trinken. Ein paar Schluck im Schlaf? Undenkbar! Neidisch blickt man zu anderen betroffenen Eltern, wo das Kind dies im Schlaf kann. Aber deren Kinder sind meist älter…

Man wird wütend darauf, dass man seinem Kind das antun muss. Das man es ZWINGEN muss, wach zu werden. Ein zweites Mal.
Man denkt nach, warum einen diese weinenden hilflosen Kinderaugen anschauen. Beim Reinjagen von Nadeln unter Tränen in einen kleinen Körper, der über dem Gesäß und am Bauch inzwischen übersäht ist von Malen, roten Punkten, Pusteln, Blutkrusten. Alle 3 Tage neuer Katheter, alle 6 Tage neuer Sensor. Das hinterlässt Spuren, die Wundheilung bedankt sich. Am schlimmsten aber ist der Blick. Dieser „Mama! Papa! Warum tut ihr mir WEH?“

Man sieht das Kind an. Und leidet.

Und verflucht Gott! Er braucht nicht kommen! Ich will nicht mehr in seinen Himmel! Was hat das alles für einen Sinn? WO ist er?
Gott ist ein kleines Kind mit einem Brennglas und wir sind eben manchmal in diesem großen Ameisenhaufen von Menschen die, die halt öfter mal getroffen werden. Bei Leibe nicht so hart, wie andere. Aber auch nicht so, als wäre die Last und Bürde wenig!

Nein, Gott ist mehr als das. Als ein kleines Kind, was wahllos niedere Kreaturen quält. Gott ist ein Scheißkerl!
Hab ich was falsch gemacht in meinem Leben? War ich nicht christlich genug? Nicht gläubig genug? Es muss etwas schlimmes gewesen sein, was mich heute den Schlaf rauben lässt. Als Strafe für etwas, was ich in diesem oder einem früheren Leben getan haben muss.

Aber reicht es nicht, dass man selbst an Schlafmangel leidet? Das man müde und gereizt durch das Leben gehen muss?
Nein, das EIGENE Leid ist in Fliegenschiss dagegen, dass man sein KIND leiden sieht!
Das ist  wahre Bestrafung! Aber es wäre nicht Gott, wenn er nicht noch eine Schippe drauf legen würde! Es reicht nicht das eigene Leid. Es reicht nicht das Leid des Kindes. Nein, das Leid des KINDES muss man ihm auch noch SELBST zufügen! Jawoll! Das ist die wahre ultimative Bestrafung, die unmenschlichste Folter, die man sich vorstellen kann!
Ich zwinge dich dazu, deinem Kind weh zu tun!

Wie willst du einem anderthalbjährigen erklären, dass man dies alles tun muss! Die ständigen Picksereien, das stände Stechen, Schießen mit Setzhilfen für Katheter und Sensoren. Das Kind selbst kann mit 1,5 Jahren doch gar nicht realisieren, dass es ansonsten noch schlimmeres Leid durchleben muss! Wie soll man es ihm klar machen?
Und so bleibt dir nichts, als Hand an dein Kind zu legen. Gegen die kleinen traurigen Augen, die dich nachts anbrüllen und tagsüber flehen. „Warum tust du mir weh Mama, warum tust du mir weh Papa?“ Immer und immer wieder? Warum? Was hab ich euch getan? Warum ich? Warum muss mein Bruder nicht gestochen werden? War ich böse Mama? Was kann ich machen, damit ihr aufhört mir weh zu tun Papa?
Ich hab euch doch lieb?

GOTT, WENN DU DAS LIEST: DU BIST EIN SCHEISSKERL!!!!
VERPISS DICH!

Elternblog, Blog, Hypo

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