Wenn Diabetes belastet – wie Eltern helfen können, damit ihre Kinder nicht daran zerbrechen
Diabetes ist mehr als Insulin spritzen und Glukose messen. Gerade für Kinder und Jugendliche bedeutet der Alltag mit Diabetes oft dauerhafte Anspannung: Sorge, Schuldgefühle, Frust, manchmal Angst vor der Zukunft. Genau darum geht es, wenn in medizinischen Fachkreisen von „Diabetes Distress“ gesprochen wird – der emotionalen Belastung, die entsteht durch das Leben mit Diabetes.
Die European Association for the Study of Diabetes (EASD) hat 2026 erstmals eine evidenzbasierte Richtlinie veröffentlicht, wie man Diabetes Distress erkennen und bewältigen kann.
Wichtig: Die aktuelle Richtlinie bezieht sich nicht auf Kinder oder Jugendliche. Aber: Viele der Erkenntnisse lassen sich übertragen oder als Anregung nutzen, damit Eltern besser unterstützen können. In diesem Artikel geht es darum, wie das gehen kann.
Was ist Diabetes Distress?
- Es sind keine klinischen Depressionen, aber Gefühle wie Überlastung, Frustration, das Gefühl, nie fertig zu sein, Schuld, und Sorgen um die Gesundheit.
- Fast jede*r zweite Erwachsene mit Diabetes hat in irgendeiner Form Belastungen – teilweise starke.
- Je länger Diabetes im Alltag nicht genügend Beachtung findet oder Veränderungen in der Therapie nicht gut begleitet werden, desto eher steigt die Gefahr für Diabetes Distress.
Warum ist das auch bei Kindern/Jugendlichen wichtig?
Auch wenn die Richtlinie sich nur auf Erwachsene bezieht, zeigen Erfahrungen und Studien:
- Jugendliche haben andere Belastungen: Schule, soziale Rolle, Gruppenzwang, Pubertät, Auflehnung etc.
- Eltern übernehmen viele Aufgaben (insulin, Ernährung, Messung), und die Stimmung in der Familie beeinflusst sehr stark, wie belastet sich das Kind fühlt.
- Wenn Distress nicht adressiert wird, leidet nicht nur das psychische Wohlbefinden, sondern oft auch die Blutzuckerkontrolle, Lebensqualität und langfristig Gesundheitsrisiken.
Was empfiehlt die EASD-Richtlinie – adaptierbar auf Kinder/Jugendliche
Auch wenn sie nicht direkt für unter 18-Jährige gilt, beinhalten die EASD-Empfehlungen Grundprinzipien, die Eltern nutzen können:
Bereich | Empfehlung laut EASD | Übertragung auf Kindern / Jugendlichen |
---|---|---|
Regelmäßige Gespräche über Gefühle | Bei jeder Diabetes-Begegnung sollte auch über die Belastung gesprochen werden. | Eltern & Betreuungspersonen (Ärzte, Diabetesberater, Schule) sollten regelmäßig fragen, wie es dem Kind emotional mit Diabetes geht. Nicht nur: „Wie sind die Werte?“ sondern „Wie fühlst du dich damit?“ |
Validierte Werkzeuge zur Erfassung | Es gibt verschiedene Fragebögen wie PAID, Diabetes Distress Scale etc. | Für Jugendliche gibt es ggf. spezielle Fragebögen in leichter Sprache oder mit weniger Fragen, damit es nicht überfordernd wird. Schulpsycholog*innen / Diabetesteams können helfen, passende Tools zu finden. |
Psycho-/psychotherapeutische Unterstützung | Psychologische Interventionen zusätzlich zur Standardversorgung sind empfohlen. | Wenn das Kind oder Jugendlicher stark belastet ist (z. B. ständige Ängste, Wut, Rückzug), kann professionelle Hilfe ratsam sein – Gespräche mit Psycholog*in, ggf. spezialisierten Diensten für chronisch Kranke. |
Pädagogisch-psychologische Gruppen / Aufklärung | Psychoedukative und edukative Programme können helfen. | Eltern und Kinder können zusammen an Schulungen teilnehmen, z. B. wie man mit Rückschlägen umgeht, wie man Ernährung / Therapie in Alltag und Beruf / Schule integriert, Stressbewältigung. |
Peer Support | Austausch mit Gleichbetroffenen wurde geprüft, aber nicht immer sicher in der Evidenz. | Allerdings oft hilfreich: Jugendliche, die wissen, wie es ist, wenn man abends noch Werte kontrollieren muss oder Angst vor Hypoglykämien hat, können Trost spenden – in Jugendgruppen, Foren, Selbsthilfegruppen. |
Technologieeinsatz | Z. B. kontinuierliche Glukosemessung (CGM) kann bei Typ-1 helfen, den Distress zu verringern. | Erfahrung zeigt auch bei Jugendlichen, dass moderne Messsysteme, Insulinpumpen oder teilautomatisierte Systeme helfen können, Alltagserleichterung zu bringen – wenn sie kindgerecht und gut begleitet eingeführt werden. |
Was Eltern konkret tun können
Hier sind Vorschläge, wie Sie als Mutter oder Vater/Elternteil unterstützend sein können:
- Emotionen sichtbar machen und erlauben
Erlauben Sie Ihrem Kind, traurig, wütend oder frustriert zu sein – es ist ein Teil des Umgangs mit Diabetes. Vermeiden Sie Schuldzuweisungen, auch Selbstvorwürfe des Kindes. - Gemeinsame Reflexionen einbauen
Z. B. einmal pro Woche: Wie war Deine Woche mit Diabetes? Was war schwierig? Was ging gut? Wo wünsche ich mir Unterstützung? - Netzwerke schaffen
– Kontakt zu anderen Familien, in denen Jugendliche mit Diabetes leben.
– Jugendgruppen, Camps oder Workshops.
– Austausch mit Schule oder Betreuung, damit sie das Thema ernst nehmen. - Ressourcen nutzen
– Psychologische Beratung, Diabetesberater*innen, Kurse.
– Apps oder Online-Angebote, die Stress/Emotionen begleiten.
– Entspannungsangebote: Sport, kreative Aktivitäten, Achtsamkeit, Hobbys. - Therapie/Technik so gestalten, dass sie möglichst wenig belastet
– Wo möglich Geräte wählen, die einfacher zu handhaben sind.
– Arbeitsabläufe im Alltag überdenken: Routine, Planung, klare Zuständigkeiten.
– Es kann helfen, kleine Ziele zu setzen, statt Perfektion zu erwarten. - Eltern nicht vergessen
Ihre eigene Belastung wirkt sich auf das Kind aus. Gönnen Sie sich Pausen, sprechen Sie mit anderen Eltern oder Fachleuten, holen Sie sich Hilfe – damit Sie stark bleiben können.
Grenzen und offene Fragen
- Weil die Richtlinie sich nicht auf Kinder und Jugendliche bezieht, fehlen derzeit belastbare Studien speziell für diese Altersgruppe.
- Fragen wie: Ab welchem Alter Fragebögen verwendet werden können, wie Interventionen kindgerecht angepasst aussehen müssen, wie Schule / Peer-Beziehung stärker eingebunden werden – hier besteht weiterer Forschungsbedarf.
- Nicht jede Belastung erfordert psychologische Therapie; manchmal reichen Gespräche, Änderungen im Alltag oder technische Hilfsmittel.
Fazit
Diabetes Distress ist real und kann auch Kinder und Jugendliche stark belasten. Auch wenn die EASD-Richtlinie sich aktuell nicht direkt auf Minderjährige bezieht, liefert sie wertvolle Impulse:
- Regelmäßiges Nachfragen, wie es emotional geht
- Offenheit für Belastungen und Gefühle
- Einsatz von unterstützenden Maßnahmen (Gespräche, Schulung, Technik)
- Ein Netzwerk aus Familie, Fachleuten und Gleichgesinnten
Wenn Eltern und Kinder gemeinsam daran arbeiten, dass über die Last gesprochen wird und Hilfe greifbar wird, kann Diabetes nicht nur leichter zu bewältigen sein – sondern das Kind wächst mit mehr Selbstvertrauen, Gelassenheit und Lebensfreude heran.
Quellverweis, leider nur in Englisch: 2026 EASD evidence-based clinical 9 practice guideline for assessing and 10 managing diabetes distress among 11 adults with type 1 diabetes and type 2 12 diabetes vom Sep. 2025
Expertenrat, EASD, Psychologie
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